Phaidros

Der Anfang des Phaidros in der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift, dem 895 geschriebenen Codex Clarkianus (Oxford, Bodleian Library, Clarke 39)

Der Phaidros (altgriechisch Φαῖδρος Phaídros, latinisiert Phaedrus) ist ein in Dialogform verfasstes Werk des griechischen Philosophen Platon. Wiedergegeben wird ein fiktives, literarisch gestaltetes Gespräch von Platons Lehrer Sokrates mit seinem Freund Phaidros, nach dem der Dialog benannt ist.

Das Thema ist die Kunst des sprachlichen Ausdrucks, die in der Rhetorik machtvoll zur Geltung kommt. Dabei geht es um das Verhältnis zwischen rhetorischer Überzeugungskraft und philosophischer Wahrheitsfindung. Auch der Gegensatz zwischen mündlicher und schriftlicher Mitteilung wird erörtert. Den konkreten Anlass der Diskussion bietet eine rhetorisch gestaltete Schrift des Lysias, eines berühmten Redenschreibers, die Phaidros mitgebracht hat und vorliest. Lysias vertritt die Ansicht, die Liebesleidenschaft sei eine schlechte Voraussetzung für eine Freundschaft; daher sei es besser, mit einem Nichtverliebten befreundet zu sein. Sokrates trägt aus dem Stegreif eine alternative Stellungnahme vor, in der er ebenfalls vor den schädlichen Wirkungen der Verliebtheit warnt. Anschließend distanziert er sich aber von dieser Sichtweise und plädiert eindringlich für die gegenteilige Auffassung. Nunmehr wirbt er für ein tieferes Verständnis der erotischen Leidenschaft, die er als einen irrationalen Gemütszustand göttlichen Ursprungs bestimmt. Solcher „Wahnsinn“ sei nicht negativ zu bewerten. Vielmehr handle es sich um eine Ergriffenheit der Seele. Dabei werde die Seele von der gewaltigen Macht ihrer Sehnsucht nach dem Schönen angetrieben.

Sokrates veranschaulicht seine Deutung des erotischen Begehrens mit einer mythischen Erzählung vom Schicksal der unsterblichen Seele im Jenseits. Dem Mythos zufolge lenkt die geflügelte Seele ihren Seelenwagen durch das Himmelsgewölbe. Den Wagen ziehen zwei ebenfalls geflügelte Pferde, ein gehorsames und ein störrisches, deren Verschiedenartigkeit die Wagenlenkung stark erschwert. Sofern die Seele nicht abstürzt oder anderweitig scheitert, kann sie einen „überhimmlischen Ort“ erreichen, wo sie die „platonischen Ideen“ wahrnimmt, darunter die Idee des Schönen, das heißt das Urbild alles Schönen. Wenn sie später im Verlauf der Seelenwanderung einen menschlichen Körper annimmt, erinnert sie sich beim Anblick schöner Gestalten undeutlich an dieses prägende Erlebnis und wird daher von erotischer Begierde ergriffen. Das eigentliche, unbewusst erstrebte Ziel ihrer Sehnsucht ist aber nicht ein einzelner schöner Körper, sondern die göttliche Schönheit jenseits des Himmels, die das körperliche Auge nicht sieht.

Schon in der Antike wurde der Phaidros breit rezipiert. In der Geistesgeschichte der Neuzeit fanden die Schilderung der erotischen Ergriffenheit und die mythische Darstellung des Schicksals der Seele starken Widerhall. In der neueren Forschung stoßen Platons grundsätzliche Überlegungen zur Wissensvermittlung auf besonderes Interesse.


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